Dr. Carl W. Barthel
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Der nachfolgende Fachaufsatz wurde 2006 veröffentlicht in FB 2006, S. 463-471. Der Beitrag kann beim Beckverlag, München oder bei Buchhändlern sowie über bestimmte Foren (juris, Beck-Online, DATEV LEXINFORM, NWB) kostenpflichtig bezogen werden. Der nachfolgende Abdruck weist keine Fußnoten mehr auf. Teilweise wurden Kürzungen vorgenommen. Die Gliederung wurde ergänzt.

1. Problemstellung

Der erste Aspekt zur inhaltlichen Ausprägung der Argumentationsfunktion besteht in der zielführenden Optimierung des Verhandlungsprozesses; der zweite - hier interessierende - Aspekt zur inhaltlichen Ausprägung der Argumentationsfunktion besteht in der Attributierung eines von der betrachtenden Partei präsentierten Wertes als "glaubwürdig" durch einen Bewertungsadressaten als Voraussetzung zur Konfliktlösung, also der Erlangung von Akzeptanz als drittem Aspekt.

Das von einer Partei oder von einer neutralen Institution (z.B. Gericht, Schiedsmann) gewünschte Ziel der Akzeptanz eines präsentierten Unternehmenswertes durch den oder die Bewertungsadressaten kann durch die rationale Auswahl von Handlungsalternativen innerhalb der bestehenden Aktionsräume (z.B. bezüglich der Bewertungsverfahren und innerhalb der Bewertungsverfahren bezüglich der bestehenden, faktisch vorhandenen Ermessensspielräume) bzw. durch einen Mix aus verschiedenen Handlungsalternativen gefördert werden. Ein Aktionsraum kann aber in Verhandlungen nicht isoliert im Vordergrund der Betrachtung zur Erlangung der letztlich gewünschten Akzeptanz eines präsentierten Angebotswertes (d.h. eines offen gelegten Argumentationswertes) stehen; das zusätzlich zu beachtende Bedingungsfeld bei allen Auswahlhandlungen ist charakterisiert durch die Beurteilung der "Glaubwürdigkeit" durch die jeweiligen Bewertungsadressaten, an der die einzelnen Handlungsalternativen einer Partei und der hiernach fundierten Unternehmens- oder Anteilsbewertung gemessen werden können.

Es ist nicht rational, einen als unglaubwürdig erachteten Wert als Preis zu "akzeptieren"; umgekehrt ist es bei einem als glaubwürdig erachteten Wert durchaus rational, einen noch günstigeren Preis anzustreben, weil annahmegemäß kein Zwang zum Vertragsabschluß besteht. Der Fall, dass es zu einer Akzeptanz kommt, ohne dass zumindest eine der Parteien von der Glaubwürdigkeit des

Angebotswertes der Gegenseite überzeugt ist, wird annahmegemäß ausgeschlossen, da bis zur Akzeptanz jede Partei über die Handlungsalternative "Verhandlungsabbruch" verfügt.

Es ergibt sich somit die Fragestellung, welchen Stellenwert die "Glaubwürdigkeit" eines präsentierten Unternehmenswertes im Laufe des Verhandlungsprozesses hat, welche Bezugsgrößen für die entsprechende Attribution von Argumentationswerten existieren und wie diese Bezugsgrößen auf den Argumentationswert (Angebotswert) einwirken.

2. Das Selektionskriterium "Glaubwürdigkeit"

Das Selektionskriterium "Glaubwürdigkeit" ('trustworthiness') ist gegenüber anderen elementaren Bedingungen für einen sachlichen Umgang der Parteien untereinander, wie "Vertrauenswürdigkeit", "Gerechtigkeit", "Kompetenz" ('expertness'), "Sympathie", "Wahrhaftigkeit", "Ehrlichkeit", "Zuverlässigkeit", "Integrität", "Seriosität", "Professionalität", deshalb von zentraler Bedeutung, weil dieses Kriterium unmittelbar an die Zielgröße "subjektive Überzeugung in Bezug auf die Richtigkeit eines Bewertungsergebnisses" anknüpft und eine einmal verlorene Glaubwürdigkeit nur sehr schwer zurückgewonnen werden kann. Beispielsweise gehört es im Rahmen einer forensischen Glaubwürdigkeitsbeurteilung zu einer uneingeschränkten richterlichen Überzeugungsgewissheit, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (= Glaubwürdigkeit), und nicht etwa nur die Überzeugung von der hohen Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit eines präsentierten Bewertungsergebnisses erlangt haben muss.

"Glaubwürdigkeit" ist keine unmittelbare Eigenschaft des Verwenders eines Bewertungsergebnisses, sondern eine vom Bewertungsadressaten als Rezipient attribuierte Eigenschaft. Obwohl mutmaßlich die meisten Rezipienten sich selbst eine hohe Fähigkeit bezüglich der Einschätzung von Glaubwürdigkeit zuschreiben, dürfte die Erkennungsrate von Täuschungen eher niedrig sein. Glaubwürdigkeitsverluste ergeben sich neben Täuschungen auch aus Enttäuschungen, z.B. in Bezug auf die Geheimhaltung übermittelter Daten, die Einhaltung eines vereinbarten Zeitplanes u.ä.. Enttäuschungen sind die Folge nicht erfüllter Erwartungen. Erwartungen sollten demnach nicht geweckt werden oder sollte man nur entstehen lassen, wenn sie gegenüber der anderen Seite erfüllt werden können. Es gilt das Primat der kontextorientierten Glaubwürdigkeitsbeurteilung gegenüber einer bloß

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inhaltsorientierten Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Es gibt drei zentrale Teilaspekte von Glaubwürdigkeitsbeurteilungen – Kompetenz, Integrität und Evaluation.

Bei der „Kompetenz“ als glaubwürdigkeitsstiftendes Merkmal können verstärkende Inputs durch die betrachtende Partei bzw. vermindernde Inputs durch die Gegenpartei bezogen werden im Hinblick auf das Wissen und die Fähigkeiten des Bewerters sowie auf die Präsentation (Werbung) dieser Teilaspekte nach außen. Es entspricht dem Zeitgeist, dass die Art und damit die Effektivität der Präsentation nach außen, insbesondere gegenüber der Gegenpartei, ein stetig größeres Gewicht erlangt hat. Es genügt nicht, dass ein Bewerter oder ein entsprechendes Beratungsunternehmen über entsprechende Professionalität verfügt; hinzu kommen muss der Umstand, dass diese Professionalität auch nach außen – für einen Bewertungsadressaten erfahrbar - in vorteilhafter Weise kommuniziert wurde. Das Vorhandensein von „Wissen“ eines Bewerters ist für einen Bewertungsadressaten – wie meist bei freiberuflichen Leistungen – regelmäßig nicht überprüfbar, sondern nur indirekt erfahrbar und messbar; der Verweis auf ein Studium an einer anerkannten oder berühmten Universität (z.B. St. Gallen, Havard) oder das Führen des Doktor- oder Professortitels durch den Bewerters unterstreicht das Vorhandensein von Expertenwissen und führt zur verstärkten Annahme von Kompetenz durch den Bewertungsadressaten. Auch die „Fähigkeiten“ sind für den Bewertungsadressaten nur indirekt messbar; hilfreich sind hier insbesondere eine Autorentätigkeit auf dem Gebiet der Unternehmensbewertung sowie der Verweis auf die Vielfachbeauftragung durch große Instutionen oder Unternehmen.

Während bei der Kompetenz es sich bezüglich Wissen und Fähigkeit um glaubwürdigkeitsstiftende Merkmale handelt, geht es bei der Integrität bezüglich der Teilaspekte „independence in mind“ – tatsächliche Abhängigkeit z.B. durch kapitalmäßige Bindungen - bzw. der „independence in appearance“ – entspricht in etwa der Besorgnis der Befangenheit - um (mögliche) glaubwürdigkeitsherabsetzende Merkmale. Gerade bei Fusionen, Bemessung der Abfindung an Minderheitsgesellschafter, Squeeze-out’s und ähnlichen sensiblen Sachverhalten im Bereich der Großunternehmen haben die großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen ein Problem, weil unter Glaubwürdigkeitsaspekten ausgeschlossen werden muss, dass diese (oder einer ihrer Mitarbeiter bzw. kooperierende Unternehmen im Verbundnetz) für die eigene Partei irgendwann einen Abschluss geprüft, eine Beratungsleistung erbracht, eine Dienstleistung angenommen zu haben oder in der Zukunft realistischerweise sich einen Auftrag erhoffen dürfen. Auch ein nur geringer Mangel an Integrität eines Bewerters ist ein KO-Kriterium für dessen Glaubwürdigkeit.

Bei der Evaluation verfolgt der Bewerter bzw. die zu beauftragende Bewertungsinstanz die Strategie, unter Bezugnahme des Nachweises einer Evaluierung früherer Bewertungsergebnisse mit Marktdaten bzw. früher verwendeter Bewertungsverfahren oder deren Beurteilung durch höhere Instanzen die Richtigkeit eines Angebotswertes zu untermauern – völlig losgelöst von eigener Kompetenz oder Integrität. Beispielsweise präsentieren Bewerter, die nahezu ausschließlich Arztpraxen beurteilen, gerne Statistiken, die anschaulich aufzeigen, wie Ergebnisse früherer Bewertungen durch später erzielte Kaufpreise evaluiert wurden. Ähnlich untermauern Richter ihre Vergleichsangebote gegenüber den Parteien gerne mit der langjährigen Konstanz der Spruchkammer in Bezug auf bestimmte Detailfragen oder an dem langjährigen Festhalten an bestimmten Grundsätzen oder Verfahren oder in der Häufigkeit der Bestätigung ihrer

Entscheidungen durch übergeordnete Instanzen. Die große Reputation des IDW in Fachfragen der Unternehmensbewertung rührt u.a. daher, dass über lange Jahre hinweg an bestimmten Grundsätzen (z.B. Zukunftserfolgswertansatz, objektivierter Wert, Phasenmethode) festgehalten wurde. Das Streben nach Evaluierung erklärt die große

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Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen über angewendete Bewertungsverfahren auf nationaler und internationaler Ebene.

Das Schaubild zeigt, dass die Glaubwürdigkeit eines präsentierten Angebotswertes letztlich von personalen Gütekriterien abhängt bzw. abgeleitet wird und dass zu den quantitativen Gütekriterien einer (ordnungsgemäßen, fachlich zutreffenden) Unternehmensbewertung, wie sie für alle anderen Funktionen der Unternehmensbewertung von Bedeutung ist, im Rahmen der Argumentationsfunktion nicht nur zusätzlich, sondern vorrangig das qualitative Gütekriterium der Glaubwürdigkeit hinzukommt.

In der Verhandlungspraxis selbst steht im Blickpunkt der medialen Glaubwürdigkeit „präsentierter“ Angebotswerte ein Set diskursiver Praktiken:

1. Verkörperung der Glaubwürdigkeit präsentierter Werte durch die affirmative Darstellung der Kompetenz des Bewerters und der Seriosität bei der Bezugnahme auf Autoritäten,

2. Erkennen und Schließung von "Glaubwürdigkeitslücken" (Credibility Gap),

3. vom Bewertungsadressaten erkennbar schlüssige, widerspruchsfreie Argumentationskette,

4. Einfachheit und Übersichtlichkeit der Präsentation der Bewertungsgrundlagen (statt Verwendung seitenlanger Zahlenfriedhöfe),

5. Schaffung eines Vertrauen bildenden äußeren Rahmens für Gutachten und Verhandlung,

6. Glaubwürdigkeitsattribution auch in Details und Nebensächlichkeiten,

7. nachvollziehbare Fundierung der wesentlichen Bewertungsgrundlagen durch Bezugnahme auf Marktdaten,

8. Vermeidung eines Widerspruchs zu einer in früherer Zeit gemachten Äußerung.

3. Rückgriff auf unterschiedliche Bewertungsverfahren

Nach Sieben sind die Argumentationswerte die notwendigen Vehikel, die zu einer Realisation der parteiindividuellen Interessen beitragen und eine Konfliktlösung forcieren sollen. Dabei kann bei der Ableitung von Argumentationswerten auf eine Fülle unterschiedlicher Bewertungsverfahren und innerhalb der einzelnen Bewertungsverfahren auf eine Vielzahl wertrelevanter Einzelaspekte zurückgegriffen werden, und zwar in Abhängigkeit des Bewertungszwecks, der Rechtsform (Einzelunternehmen - Personengesellschaft - GmbH - börsennotierte AG), der Branche, des Zeitbedarfs, des zur Verfügung stehenden Budgets, der internen fachlichen Vorgaben von WP- und Sachverständigenunternehmen und last but not least der (Fach-)Hochschule, an der dem späteren Bewerter die Fachkenntnisse vermittelt worden sind. Dabei führt die Festlegung der Gegenpartei auf ein bestimmtes Bewertungsverfahren in dominanter Weise zu einer Prägung sowohl des Verhandlungsablaufs als auch zur vorgezeichneten, u.U. einseitigen Ableitung der beiderseitigen Angebotswerte.

Die Ableitung von Argumentationswerten bedarf daher in einem ersten Schritt einer Stärken- /Schwächenanalyse von Bewertungsverfahren, und zwar aus der Sicht des (tatsächlichen oder potentiellen) Verkäufers (bzw. Käufers) einer Analyse

bezüglich der betrachtenden Partei hinsichtlich

- der argumentativen Nutzung der Stärken der selbst verwendeten Verfahren,

- der argumentativen Nutzung der Schwächen der von der Gegenpartei verwendeten Verfahren, bezüglich der Gegenpartei hinsichtlich

der argumentativen Nutzung der Stärken der von ihr verwendeten Verfahren und

der argumentativen Nutzung der Schwächen der von der betrachtenden Partei verwendeten Verfahren.

Ohne vorherige Analyse der Stärken und Schwächen der einzelnen Bewertungsverfahren, die sich relativ einfach in einer Vier-Zellen-Matrix (Stärken / Schwächen bzw. betrachtende Partei / Gegenpartei) strukturieren lassen, sollte ein Argumentationswert nicht zielführend als Angebotswert einer Partei in eine Verhandlung eingebracht werden.

Wenn Unternehmenswerte (z.B. als Angebot) lediglich betragsmäßig gegenüber einem Bewertungsadressaten (z.B. gegenüber einem Transaktionspartner) präsentiert werden, so ist dieser Betrag ohne zusätzliche Informationen über Art der Fundierung, Herleitung der Ausgangsgrößen und Zusammensetzung der wesentlichen

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Bestandteile nahezu informationslos. Was sollte den Bewertungsadressaten motivieren, einen solchen Wert, selbst wenn dieser in seinem Entscheidungsraum liegt, sofort zu akzeptieren? Es entspricht daher rationalem Verhalten, sich mit den präsentierten Zusatzinformationen auseinander zu setzen, sei es, um als Richter mit Überzeugung ein tragfähiges Urteil fällen zu können oder sei es, um als Partei ein für sich günstigeres Ergebnis erzielen zu können.

4. Unterschiede zwischen Argumentations- und Beratungsfunktion

Die mit Abstand wichtigste Information in Bezug auf einen Unternehmenswert bezieht sich auf das (bzw. die) verwendete(n) Verfahren. Jedes Verfahren ist im Rahmen der Argumentationsfunktion adressatenbezogen auf seine Glaubwürdigkeit zu beurteilen (Grundsatz der Adressatenbezogenheit). Dabei hilft es regelmäßig in der Verhandlung, wenn man als betrachtende Partei von der Richtigkeit des selbst verwendeten Verfahrens überzeugt ist; dies ist aber kein zwingendes Erfordernis. Völlig belanglos ist im Rahmen der Argumentationsfunktion, ob das verwendete Verfahren eher vergangenheits-, zukunfts- oder gegenwartsbezogen ausgerichtet ist; hier unterscheidet sich die Argumentationsfunktion grundlegend von der Beratungsfunktion, weil dort der "Grundsatz der Zukunftsbezogenheit" mit Bezug auf die Erwartungsnutzentheorie und das uneingeschränkte Rational Kalkül gilt. Auch gilt im Rahmen der Argumentationsfunktion nicht der Grundsatz der strikten Marktbezogenheit wie im Rahmen der Beratungsfunktion, sondern der "Grundsatz der eingeschränkten Marktbezogenheit": Zielgröße von Argumentationswerten ist eben nicht die Ermittlung von Grenzpreisen des Käufers bzw. Verkäufers, sondern die Akzeptanz eines möglichst günstigen Unternehmenswertes der betrachtenden Partei durch die Gegenpartei bzw. durch eine neutrale Institution (Gericht, Schiedsgutachter) als Entscheider.

Erst durch die Akzeptanz eines präsentierten Unternehmenswertes durch einen Entscheidungsträger auf der Gegenseite oder einer neutralen Institution verliert dieser seinen Charakter als "Wert" und gewinnt die Eigenschaft als "Preis" (hierfür werden auch andere Bezeichnungen verwendet: Verkaufspreis, Kaufpreis, Abfindungsbetrag, Vergleichssumme, Teil des Anfangs- oder Endvermögens in Zugewinnausgleichsfällen usw.).

"Werte" sind potentielle Preise, wodurch das Erfordernis der Ableitung aus Marktdaten deutlich wird. Insofern ist Zielgröße im Rahmen der Argumentationsfunktion stets die Ableitung von (möglichst glaubwürdigen) Werten, wenn Konzessionen für eine Partei erforderlich sind. Zielgröße im Rahmen der Beratungsfunktion ist hingegen der jeweilige Grenzpreis des Käufers bzw. Verkäufers „hinter der vorgehaltenen Hand“, der letztlich nicht über- bzw. unterschritten werden soll bzw. dessen Verletzung den Abbruch der Verhandlungen herbeiführen würde. Auf den Punkt gebracht ist üblicherweise Gegenstand der Betrachtung im Rahmen der Beratungsfunktion ein (Grenz- )“Preisfindungsverfahren“ und im Rahmen der Argumentationsfunktion ein „Bewertungsverfahren“ (mit hoher Glaubwürdigkeitsattribution) - eine Sichtweise, die gelegentlich in der Literatur geradezu auf den Kopf gestellt wird. Preisfindungsverfahren, nicht aber Bewertungsverfahren, sind Gegenstand der Investitionsrechnung und damit der Beratungsfunktion.

"Werte" als potentielle Preise werden von "Marktpreisen" (z.B. aus den Zinserträgen für börsennotierte Staatsanleihen) abgeleitet und "Preise" basieren auf (subjektiven) Wertvorstellungen von Transaktionspartnern, nämlich wenn ein präsentierter Argumentationswert "akzeptiert" wurde (insoweit dokumentiert der Markt "Werte"). Der Unterschied ist marginal und hängt nur davon ab, ob ein Angebotswert "akzeptiert" und der Sachverhalt "dokumentiert" wurde. Von einem "Marktwert" kann nicht mehr gesprochen werden, wenn auf einen sog. "inneren Wert" eines Bewertungsobjektes abgestellt wird bzw. bei der Wertermittlung subjektive (d.h. nicht marktmäßig abgeleitete) Betragsgrößen einfließen oder die Dokumentation fehlt oder fehlerbehaftet ist. Der (künftige) subjektive Nutzen eines Käufers oder Verkäufers führt somit begrifflich niemals zu einem Marktwert, selbst wenn man einmal der veralteten bzw. als falsch erkannten Erwartungsnutzentheorie (Expected Utility Theorie) folgen würde.

Probleme ergeben sich dann, wenn man als "Kaufpreis" begrifflich auf die Aufteilung der Transaktionsgewinnspanne zwischen den Grenzpreisen auf die beiden Parteien abstellt und diese Grenzpreise jeweils als unverrückbares Datum begreift. Grenzpreise haben allenfalls indizielle Bedeutung für das spätere Verhandlungsergebnis, nicht mehr und nicht weniger. Schon gar nichts hat der maximal am Markt erzielbare Ertragswert etwas mit einem Marktwert zu tun. Eine derartige Argumentation führt auf Irrwegen; dieser Ansatz wird deshalb hier nicht weiter verfolgt.

Bezüglich der Offenlegung von Entscheidungswerten gilt:

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Ist die Grenze der Konzessionsbereitschaft intern fixiert und wird dieser Betrag - z.B. über ein sog. Neutrales Gutachten - der Gegenseite bekannt, handelt es sich insoweit um einen Argumentationswert bzw. Angebotswert.

Entscheidungswerte sind stets geheim. Argumentationswerte liegen zwischen dem Entscheidungswert und einem für die Partei günstigeren Wert, von dem angenommen wird, dass dieser von der Gegenpartei akzeptiert werden kann. Wird ein Argumentationswert der Gegenpartei offen gelegt, wird der Argumentationswert zu einem Angebotswert. Soll ein Entscheidungswert (z.B. als „letztes Angebot“) offen gelegt werden, wird dieser begrifflich zunächst zu einem Argumentationswert, und wird dieser tatsächlich offen gelegt, so wird dieser Entscheidungswert ein Angebotswert. Verhandelt man mit mehreren Interessenten oder geht man ernsthaft in eine Kauf-/ Verkaufverhandlung hinein, so ist es üblich und rational, mehrere Argumentationswerte (mit durchaus unterschiedlichen Begründungen) abzuleiten, von diesen Argumentationswerten aber u.U. nur einen einzigen Wert als Angebotswert der Gegenpartei zu präsentieren. Weitere Unterschiede zwischen Argumentations- und Beratungsfunktion ergeben sich aus dem nachfolgenden Schaubild:

Argumentationsfunktion Beratungsfunktion
Wertbezeichnung Argumentationswert / Angebotswert Entscheidungswert
Zielgröße Erlangung von Akzeptanz eines präsentierten Unternehmenswert Ermittlung der Grenze der Konzessionsbereitschaft
Zielkriterium Glaubwürdigkeitsbeurteilung des präsentierten Wertes Grenzpreisbezogenheit für einen Verkäufe / Käufe
Zielrichtung nach außen nach innen
Offenlegung Ja (extern) Nein (nur intern)
Instrument Bewertung Investitionsrechnung
Personenbezug Adressatenbezogenheit Auftraggeberbezogenheit
Zeitbezug Vergangenheits-, Gegenwartsund/oder Zukunftsbezogenheit Zukunftsbezogenheit (ausschließlich)
Fokus Schwäche der von der Gegenseite verwendeten Verfahren  Fachliche Richtigkeit der selbst verwendeten Verfahren 
Rationalitätsprinzip eingeschränkt uneingeschränkt
Mögl. Konsequenz Konzession Verhandlungsabbruch

Abb. 2: Unterschiede zwischen Argumentations- und Beratungsfunktion im Überblick

Es ist eine Binsenweisheit, dass die Lehre von der Bewertung von (Anteilen an) Unternehmen keine exakte Wissenschaft, ähnlich der Mathematik, ist, sondern eine hohe Anzahl von Methoden, Verfahren, Varianten, Techniken, Autoritäten, Gerichtsentscheidungen, Praktiken und berufsständischen und branchenbezogenen Empfehlungen nebst Mehrheits- und Minderheitsmeinungen aufweist. Dieser Zustand wird im Folgenden als Methodenpluralismus bezeichnet. Es ist verständlich, wenn immer wieder Versuche in der Judikatur, der Wissenschaft und der Praxis gestartet werden, durch Grundsatzentscheidungen, dominante Verbreitung von Lehrmeinungen und Setzen von Standards die vorstehend aufgezeigte Komplexität stark zu reduzieren. Für Zwecke der Argumentationsfunktion ist - zumindest in der Anfangsphase einer Verhandlung beim Bewertungsanlass Kauf/Verkauf - die Fülle an Methoden eher förderlich als hinderlich. Die Verwendung mehrerer Verfahren, auch von einer einzigen Partei, dient, ähnlich wie die Zerlegungsstrategie in derivative Teilprobleme bei Matschke - der Dekomposition des Preisfindungskonflikts mit der Option der Bereitschaft zu weiteren kooperativen Schritten. Hinzu kommt, dass bei Verwendung mehrerer Verfahren, deren Ergebnisse nahe beieinander liegen, eine besonders hohe Glaubwürdigkeit für die Richtigkeit abgeleitet werden kann.

Hier unterscheidet sich in erheblicher Weise die Argumentationsfunktion von der Beratungsfunktion, die eher von einem bewertungsmonoistischen Ansatz geprägt ist. Im Rahmen der Beratungsfunktion will der Beratene den Entscheidungswert als Grenze seiner Konzessionsbereitschaft wissen, also wie weit er maximal in der Verhandlung nachgeben kann. Der beratene Käufer will z.B. wissen, wie viel er bei rationalem Verhalten als Kaufpreis maximal zahlen kann. Dies zeigt die Investitionsrechnung (und eben nicht die Durchführung einer Unternehmensbewertung) auf, die die mutmaßlichen künftigen Einzahlungsüberschüsse auf den Bewertungsstichtag (in der Regel: Tag des Eigentumsübergangs) nach seinen subjektiven Parametern (z.B. interner Zinsfuß, Risikozuschläge usw.) diskontiert. Es entspricht nicht rationalem Verhalten eines Käufers, diesen Entscheidungswert auch als Kaufpreis zu akzeptieren, insbesondere dann, wenn am Markt geringere Preise für vergleichbare Unternehmen gezahlt wurden und auch gezahlt werden oder wenn sich durch die Verhandlung ein für den Käufer günstigeres Ergebnis erzielen lässt. Diesen Wert erfährt der Beratene aber eben nicht durch die investitionstheoretisch fundierten nutzenorientierten Bewertungsverfahren, sondern durch andere Verfahren.

Es ist daher einleuchtend, dass im Rahmen der Beratungsfunktion, wo immer es nur geht, an einem

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einzigen Verfahren - als Sammelbegriff dient hier und im Folgenden der Begriff "Ertragswertmethode" - festgehalten wird bzw. für den Fall, dass sich ein zweites -ähnlichesVerfahren etabliert, wie die DCF-Verfahren, sogleich postuliert wird, dass alle diese Verfahren, so man nur richtig rechnet, zum selben Ergebnis führen (müssen). Seitens der Wissenschaft wird, um argumentativ dem Alleingeltungsanspruch der Ertragswertmethode entgegen zu treten, häufig vorgetragen, dass dem Ertragswert seit langem der Liquidationswert gegenüber gestellt werde und die Unterschiede zu dem DCF eher formaler Natur seien. Die Aufrechterhaltung des Alleingeltungsanspruches dient der rigorosen Vereinfachung, weil sonst die etablierten Vertreter der Wissenschaft zu klären hätten, wann welches Verfahren zum Einsatz kommt bzw. in welchen Fällen das Ertragswertverfahren keine Verwendung findet. Tatsächlich existieren auf dem Bewertungsmarkt rund 150 unterschiedliche Verfahren, um Werte von (Anteilen an) Unternehmen abzuleiten. Das zielgerichtete Einsetzen des Instrumentariums einer Vielfalt an Bewertungsmethoden, deren Verwendung letztlich vom Markt bestimmt wird, ist daher ein zentrales Anliegen der Argumentationsfunktion und eben nicht anderer Bewertungsfunktionen.

5. Bewertungstheorie vs. Bewertungspraxis vs. Bewertungsjudikatur

Da bei der Argumentationsfunktion nicht (nur) die Richtigkeit, sondern vorrangig die Glaubwürdigkeit und hieraus folgend die Überzeugungskraft präsentierter Unternehmenswerte im Zentrum der Überlegungen steht, gilt es aus Sicht der betrachtenden Partei, - in erster Linie - die Schwächen der Argumentation der Gegenpartei sowie - in zweiter Linie - die eigenen Stärken hervorzukehren, wobei die Bezugnahme auf als seriös erkannte Autoritäten ein probates Instrument darstellt. Insoweit ähneln Argumentationswerte historisch betrachtet den vielfältigen Gottesbeweisen, deren Wahrheit und Evidenz im Mittelalter einzig und allein in der Überlieferung - also bei Autoritäten - gesucht wurde.

Eine einfache Überlegung zeigt, dass es regelmäßig genügt, die tatsächlich vorhandenen oder vermeintlichen Schwächen der verwendeten Verfahren zu kennen bzw. - von der Gegenseite betrachtet - diesen argumentativ zu begegnen: Die entsprechenden Stärken eines von der betrachtenden Partei präsentierten Verfahrens werden bei rationalem Verhalten regelmäßig von der Gegenseite nicht thematisiert. Im Grunde mutiert die "Argumentationsfunktion der Unternehmensbewertung" zu einer "Gegenargumentationsfunktion der Unternehmensbewertung" mit dem Fokus der betrachtenden Partei auf Methoden, Verfahren, Anzahl vergleichbarer Unternehmen und alternativer Berechnungsgrößen, die aus gutem Grunde, nämlich um Angriffspunkte zu vermeiden, nicht in die Verhandlung bzw. Fundierung eines Bewertungsergebnisses einbezogen werden.

Wird ein Bewertungsergebnis (d.h. ein Wert zuzüglich der erforderlichen Zusatzinformationen), das zunächst stets als Angebotswert zu charakterisieren ist, einem Bewertungsadressaten präsentiert, so kann dieser auf zwei Ebenen die Schwächen aufzeigen:

1. Top-Down: Das verwendete Bewertungsverfahren ist generell oder zumindest im vorliegenden Fall nicht geeignet oder nicht zulässig.

2. Bottom-Up: Der Umfang, die Herleitung, die Verknüpfung und die Bezifferung der Basisgrößen bei dem verwendeten Verfahren sind im betrachtenden Fall (rechnerisch oder betragsmäßig) fehlerhaft, lückenhaft oder mehrwertig.

Bei der zentralen Attacke im Fall der 1. Handlungsalternative sind wiederum verschiedene Strategien denkbar

Autoritäten bzw. Quellen der Erkenntnis in Sachen Unternehmensbewertung sind allgemein die anerkannten Vertreter der Wissenschaft (Universitätsprofessoren), der Bewertungspraxis (insbesondere die großen Beratungsunternehmen und berufsständischen Standardsetter) sowie die Entscheidungen der Gerichte (möglichst der oberen Instanzen). Hier zeigt sich aber, dass sich die Vertreter der Wissenschaft als auch der Bewertungspraxis ebenso wenig in den entscheidenden Punkten

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der Unternehmensbewertung einig sind wie die Gerichte untereinander.

Charakteristisch sind die nachfolgenden zentralen Aussagen bei (behaupteter) Unzulässigkeit oder Nichteignung eines Verfahrens:

- seitens der Wissenschaft: Das verwendete Verfahren sei nicht theoriegeleitet oder nicht rechtsgerichtet. Es werde "Wert" mit "Preis" bzw. ein "Bewertungsverfahren" mit einem "Preisfindungsverfahren" verwechselt.

- seitens der Bewertungspraktiker: Das verwendete Verfahren sei in der Praxis unbekannt. Werte seien letztlich Ergebnisse der Anwendung von Konventionen und das verwendete Verfahren entspreche nicht einer bestimmten, hier zwingend anzusetzenden Konvention (bzw. einem bestimmten Standard).

- seitens der Gerichte: Das verwendete Verfahren widerspreche der Rechtsprechung der Kammer, des Senates oder anderer Gerichte.

Hier setzt ein Ranking und demzufolge ein Run nach der größtmöglichen Autorität ein, da es objektive Werte nicht gibt und die Argumentation eines allgemein anerkannten Experten die höchstmögliche Glaubwürdigkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Schließlich geht es nicht selten um sehr hohe Beträge.

In der Wissenschaft haben sich verschiedene Netzwerke herausgebildet, die sich gegenseitig argumentativ stützen. Hierzu zählen die Kölner Schule - als Markenzeichen ist hier die "Kölner Funktionenlehre" zu nennen - sowie die Frankfurter Schule - besonderes Markenzeichen: Propagierung einer Vielzahl von sog. "Bewertungsgrundsätzen“. Seit einiger Zeit haben sich weitere wissenschaftliche Netzwerke etabliert, die insbesondere methodenoffen bzw. empirisch-realistisch, auch bezüglich der außerhalb Deutschlands verwendeten Verfahren eingestellt sind und auf nationaler Eben bereits über eine beachtliche Reputation verfügen, die unter Bezugnahme hierauf bei Verhandlungen mit Aussicht auf Erfolg eingesetzt werden könnte.

Lehrmeinungen werden am besten über das fachliche Schrifttum (Standardwerke) sowie über die Etablierung von „Standards“ verbreitet. Letztere werden üblicherweise auf fachlich hohem Niveau mit wissenschaftlicher Begleitung und Anhörung der beteiligten / betroffenen Personengruppen nach festgelegtem Verfahren verabschiedet, veröffentlicht und über die Mitgliedschaft in einem Verband nebst Anwendungszwang für einen Großteil der Bewerter verpflichtend. Die dort (z.B. im Standard IDW S 1 n.F.) aufgestellten Grundsätze und beschriebenen Verfahren und Ansichten werden in Sachverständigengutachten verwendet, denen aus diesem Grunde eine hohe Glaubwürdigkeit zugebilligt wird.

Kennt man nunmehr den bewertungstheoretischen Background der Verhandlungspartner bzw. deren Berater, so ist dies für die betrachtende Partei ein besonderer Vorteil, weil man deren Strategie und Argumentationslinien besser einschätzen bzw. prognostizieren kann.

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Besonderes Kennzeichen aller Vertreter der Wissenschaft ist es, über hochkomplizierte Formeln die Gegenseite rsp. ein Gericht zu beeindrucken versuchen und unerschütterlich fest an die Richtigkeit der selbst verwendeten Verfahren und konstituierten Grundsätze zu glauben. Sehr hilfreich ist es wegen der einseitigen Verbreitung nutzenorientierter Verfahren im universitären Bereich, die Wirkungszusammenhänge zwischen der Höhe einer Parameteränderung und der Höhe der sich daraus ergebenden Änderung des Unternehmenswertes zu kennen; ein nützliches Instrument, um in Verhandlungen schnell reagieren zu können, hierfür stellt die nachfolgende Tabelle dar.

Minderung der Zukunftserfolges um x %

höhung der Kalkulationszinsfußes um y %
x 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %
y
0 % 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %
10 % 9 % 18 % 27 % 36 % 45 % 55 % 64 % 73 % 82 % 91 % 100 %
20 % 17 % 25 % 33 % 42 % 50 % 58 % 67 % 75 % 83 % 92 % 100 %
30 % 23 % 31 % 38 % 46 % 54 % 62 % 69 % 77 % 85 % 92 % 100 %
40 % 29 % 36 % 43 % 50 % 57 % 64 % 71 % 79 % 86 % 93 % 100 %
50 % 33 % 40 % 47 % 53 % 60 % 67 % 73 % 80 % 87 % 93 % 100 %

Abb. 3: Reduzierung des Unternehmenswertes durch Parameteränderung

6. Der Glaube an die Richtigkeit von Bewertungskonzepten

Was bei der Wissenschaft die hochkomplizierten Formeln sind, ist bei den Bewertungspraktikern der großen und kleinen Beratungsunternehmen in Sachen M&A der unverrückbare Glaube an die Richtigkeit von EDV-Programmen. Dem liegt regelmäßig ein unternehmensspezifisches, vermarktungsfähiges Bewertungskonzept zugrunde.

Der Vorteil liegt auf der Hand: Nur an einigen wenigen Parametern als Stellschrauben müssen unmerkliche Änderungen vorgenommen werden, um von einem Ausgangspunkt nahezu jedes gewünschte Ergebnis computer-gesteuert ableiten zu können. In Verhandlungen selbst besteht ein Herrschaftswissen und ein Zeitvorteil für diejenige Partei, die Inhaberin des verwendeten Programms ist und über das erforderliche spezifische Anwendungs-Know-how verfügt.

Ein Unternehmer, der Jahrzehnte lang z.B. ein tüchtiger Kaufmann auf dem Gebiet des Sanitärgroßhandels war, hat kaum eine Chance, in

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Verkaufsverhandlungen den professionell agierenden Beratungsfirmen der Gegenseite mit ihren per Knopfdruck abgerufenen seitenlangen Berechnungen Glaubwürdiges entgegen zu setzen, ohne selbst wieder die Hilfe eines anderen renommierten Beratungsunternehmen in Anspruch zu nehmen.

Eine Unterstützung könnte hier in bestimmten Fällen die Nutzung frei erhältlicher Unternehmensbewertungs-Software darstellen.

7. Zur Reputation gerichtlicher Instanzen

Seitens der Gerichte genießen ohne Zweifel die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die mit Abstand höchste Reputation. Mit der DAT/Altana-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht dem Alleingeltungsanspruch des Ertragswertverfahrens eine deutliche Abfuhr erteilt und eine stärkere Ausrichtung an die jeweiligen Marktverhältnisse, hier: Börsenkurs, angemahnt.

Tendenziell unterstützen die Gerichte die Ergebnisse und die Begründung der von ihnen beauftragten Sachverständigen. Eine Abneigung gegen die als neumodisch geltenden DCF- Verfahren ist aber – zu Recht - unverkennbar. Gerichte präferieren sehr häufig das Ertragswertverfahren in Form der ewigen Rente (was aus der Sicht eines Vertreters des Substitutionsmodells grundsätzlich befürwortet wird). Für Freiberuflerpraxen ist das Multiplikatorverfahren etabliert. Abweichungen zu den Sachverständigengutachten, z.B. in Bezug auf die Berechnung des Kapitalisierungszinssatzes, sind meist gut begründet, aber eher selten. Zurückverweisungen sind an der Tagesordnung, nicht zuletzt mit dem Argument der Bedeutung des "Tatrichters".

Die Kenntnis früherer Entscheidungen derselben Kammer (bzw. eines Senats) sind für eine Partei von unschätzbarem Vorteil, da eine Kammer (bzw. ein Senat) ungern von früheren eigenen Entscheidungen abrückt. Hier gilt es dann auch, einen ebenso umfassenden wie schnellen Überblick über die Rechtsprechung der zuständigen Entscheidungs- und Berufungsinstanzen zu gewinnen. Man kann einen Kapitalisierungszinssatz von z.B. 8,5 % aufgrund komplizierter Berechnungen und Markterhebungen (Beta’s) ableiten, man kann aber auch genauso gut – wenn nicht gar schneller und glaubwürdiger - diesen aufgrund der veröffentlichten Gerichtsentscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen ableiten.

8. Schlussbetrachtung

Die Glaubwürdigkeit im Rahmen der Argumentationsfunktion knüpft an die subjektive Überzeugung eines Bewertungsadressaten in Bezug auf die Richtigkeit eines präsentierten Unternehmenswertes an. Sie ist Voraussetzung für die von der betrachtenden Partei gewünschte Erlangung von Akzeptanz durch die Gegenseite. Für die Konfliktlösung ist die Verwendung mehrerer Methoden förderlich. Der Fokus in der Argumentation liegt in den Schwächen der von der jeweiligen Gegenpartei verwendeten Verfahren.

Bei der Bezugnahme auf verbreitete Lehrmeinungen in der Wissenschaft gibt es ein faktisches Interessenoligopol im Hinblick auf einige wenige Meinungsführer. Bezüglich der Inanspruchnahme professioneller Beratungs- bzw. Bewertungsunternehmen dominieren die angelsächsischen Anbieter. In der Judikatur genießen die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die mit Abstand höchste Reputation.